Le Grand
 
Heines französische Seite
Es wird laut im "Dä Düsseldorfer Salon", dem ehemaligen Festsaal der LVR-Klinik. Der altehrwürdige Raum in Gerresheim ist Schauplatz einer Geschichte, die ebenso wie ihre Spielstätte etwas zu übersehen scheint. Gemeint ist der Ursprung der Frankophilie des wohl prestigeträchtigsten Sohnes der Stadt: Heinrich Heine.
Er, der als Spross jüdischer Tuchhändler im von Napoléon Bonaparte besetzten Düsseldorf aufwuchs, kam schon früh mit der französischen Kultur in Kontakt, bevor ihn politische Entwicklungen ins Pariser Exil zwingen sollten.

Francesco Russo spielt einen gealterten Heinrich Heine, der mehr Chronist als Protagonist ist. Die Geschichte voran bringt Russos Gegenpart im Stück: Matthias Weiland verkörpert den titelgebenden Armand Le Grand. Der ist kein Gelehrter oder Militärführer, sondern einfacher Tambour. Umso faszinierender ist die Frage, was Heine an dem Trommler gefunden haben muss, dass er nach ihm einen Band seiner "Reisebilder" benannte.

Regisseur Jörg U. Lensing versucht diese Faszination einzufangen, in dem er Le Grands Leben stationsweise nacherzählt. Vom Aufwachsen in der Provence über die Schlachten von Jena und Austerlitz bis hin nach Düsseldorf lässt Matthias Weiland den Tambour in nahezu perfektem Französisch rezitieren.

Da Russos Heinrich Heine dessen Erzählungen auf Deutsch aufnimmt und kontextualisiert, funktioniert dieses bilinguale Ergebnis hervorragend, auch für nicht Französisch sprechende Menschen.

Wie ein roter Faden zieht sich Le Grands Trommelspiel durch den Abend, nicht nur auf inhaltlicher Ebene. Mit Jean-Jacques Lemêtre ist auch ein Multiinstrumentalist Teil der Inszenierung Lensings. Der Franzose war lange Zeit Ensemblemitglied des renommierten Theaterkollektivs "Théatre du Soleil". Wie viele Instrumente Lemêtre im Laufe des Abends spielt, lässt sich kaum zählen, sie sorgen aber für den musikalischen Unterbau, welchen der Tambour Le Grand für Bonapartes Feldzüge lieferte. Das Zusammenspiel aus Text und Musik kaschiert auch einige Längen und inhaltliche Wiederholungen, mit über zwei Stunden Laufzeit verlangt "Heinrich Heines Le Grand" seinem Publikum einiges an Sitzfleisch ab. Besonders im letzten Drittel werden diese Längen deutlich, sodass man mehr über die Funktion Heines nachdenkt, als dem Textgebilde zu folgen.

Zurück bleibt am Ende ein dennoch gut konstruierter Theaterabend mit hervorragenden Darstellern. Wer dem Trommelspiel Le Grands lauschen möchte, sollte daher einen Abstecher in den "Dä Düsseldorfer Salon" wagen.

Das Theater der Klänge spielt "Heinrich Heines Le Grand" noch am 21. und 22. März im "Dä Düsseldorfer Salon" in Gerresheim. Tickets sind unter www.theaterderklaenge.de.

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Léo Solleder
Rheinische Post
 
 
Paukenschlag für die Freiheit
Es könnte so schön sein. Ein unterdrücktes Volk erhebt sich gegen die Machthaber und vertreibt sie. Anschließend kommt ein Heilsbringer, der nicht nur dem eigenen Land Frieden bringen, sondern gleich ganz Europa in ein Paradies verwandeln will – natürlich unter seiner Führung.

Aber dann kommt alles anders, und ganz Europa steht in Flammen. Und man muss schon froh sein, wenn es nur Europa ist. Wir wissen inzwischen aus der Geschichte, dass es so nicht funktioniert. Es gibt den Heilsbringer nicht. Weder einen kleinen Korsen, der sich selbst die Kaiserkrone aufs Haupt drückt, noch einen österreichischen Gefreiten, der davon träumt, sich die Welt untertan zu machen. Wenn es trotzdem immer noch Menschen gibt, die daran glauben, dann zeigt das in erster Linie eines: Dass die Schulbildung versagt. Also ist es die Aufgabe zum Beispiel von Theatern, auf die immer wiederkehrenden Mechanismen hinzuweisen.

Jetzt hat sich das Theater der Klänge der Aufgabe gestellt. Jörg U. Lensing, Inhaber des Theaters, hat sich dazu eine hübsche Geschichte ausgedacht. Heinrich Heine trifft Armand Le Grand, seines Zeichens Tambour, also Trommler, in der Armee der Grande Nation, der nicht nur die Französische Revolution, sondern auch Napoleon Bonaparte erlebt. Zwar sprechen die beiden nicht die gleiche Sprache, aber die Sprache der Musik überwindet
alle Grenzen. Und so erfährt Heine von den Geschehnissen in Frankreich. Darüber berichtet er seinem Publikum ebenso wie über die Auswirkungen für Düsseldorf. Lensing hat dazu eigene mit Heineschen Texten verwoben, und zwar so geschickt, dass man beim Besuch einer Aufführung nicht unterscheiden kann, welche Texte von wem stammen. Ist im Grunde auch uninteressant, wesentlich ist, dass eine schlüssige Geschichte entsteht, die von zwei Schauspielern erzählt und von zwei Musikern untermalt werden kann.

Die beiden Darsteller steckt Caterina Di Fiore in wunderbare Kostüme, die für verschiedene Situationen immer wieder leicht abgewandelt werden können. Es ist die zweite Produktion, die das Theater der Klänge im Dä Düsseldorfer Salon zeigt, einem historischen Veranstaltungssaal, den viele Düsseldorfer noch als Templum kennen. Trotzdem muss das Bühnenbild so angelegt sein, dass es nicht nur in das großartige Ambiente des Saals passt. Schließlich will das Theater günstigenfalls noch touren. Dementsprechend kommt die Bühne mit wenigen Elementen aus. Drei Holzkisten und eine Etagere, die als Bastille, Sprecherpodium, Munitionskiste, Schrein und so weiter dienen können. Das Ganze durchdacht und schlüssig, sprich, für den Zuschauer auch ohne große Erklärungen nachvollziehbar. Die Gegenstände werden ebenerdig zum Einsatz gebracht, während auf der eigentlichen Bühne die zahlreichen Instrumente aufgebaut sind, die an dem Abend zum Einsatz kommen. Zusätzliche Instrumente sind an der rechten Seite des Zuschauerbereichs aufgestellt. Ein paar Requisiten vervollständigen die Ausstattung. Videoprojektionen, die zum einen Schauplätze benennen, zum anderen verschwommene Bilder von Truppenbewegungen und Aufmärschen zeigen, wurden vom Kooperationslabor im Dortmunder U perfekt erstellt und runden das Gesamtbild ab. Das wird von Markus Schramma gekonnt ausgeleuchtet.

Lensing, der auch für die Regie verantwortlich zeichnet, verlangt den Darstellern wie den Musikern – er selbst übernimmt eine unterstützende Funktion an den seitlich aufgestellten Instrumenten wahr – eine Menge ab.
Neben einem beeindruckenden Textvolumen, das in den nahezu zweieinhalb Stunden mit Pause anfällt, bekommen Francesco Russo als Heinrich Heine und Matthias Weiland als Armand Le Grand eine Menge Zusatzaufgaben. Aber auch die Zuschauer, die zur Uraufführung zahlreich erschienen sind, werden mehr als nur mit angenehmer Unterhaltung gefordert. Zwar müssen sie das Französisch des Tambours nicht verstehen, weil Heine die Inhalte anschließend auf Deutsch noch einmal erzählt, zusammenfasst, interpretiert und weiterführt, aber genau diesen Mechanismus muss man als des Französischen Unkundiger erst mal verstehen. Das gelingt längst nicht allen. Allerdings ist der vehemente Auftritt Weilands, der neben der französischen Erzählung auch noch zu pfeifen und vor allem in allen Lebenslagen zu trommeln hat, so beeindruckend, dass es die wenigsten Besucher stört. Auch Russo muss neben sorgfältig intoniertem Text zusätzlich singen. Bis auf ein paar vernachlässigbare Hänger, die sich in den Folgevorstellungen verlieren werden, leisten beide Schauspieler überdurchschnittliche Arbeit, fesseln das Publikum über den gesamten Zeitraum. Während Weiland mit militärisch-zackigem Auftritt und dramatischem Französisch begeistert, weiß Russo mit ausgeklügelter Rhetorik, Ironie und Humor einen überzeugenden Heine abzugeben.

Jean-Jacques Lemètre, 40 Jahre lang für die musikalischen Geschicke im Pariser Théâtre du Soleil verantwortlich, hat gemeinsam mit Lensing die Musik gestaltet. Und sich selbst
dabei die eine oder andere Hürde auferlegt, wenn er auf Gesten genau – obwohl vom erhöhten Standpunkt aus kaum erkennbar – die Einsätze von Laute, Flöten, Streichinstrumenten, Klarinette und vor allem einer Vielzahl von Trommeln punktgenau treffen muss. Lensing unterstützt tatkräftig von der Seite mit Trommeln und
Schellenbaum.

Das Theater der Klänge legt erneut eine überdurchschnittliche Produktion vor, die zeigt, wie Theater ideologiefrei und ohne erhobenen Zeigefinger funktioniert, gleichzeitig unterhält und den Zuschauer trotzdem gedankenvoll entlässt. Dass Lensing und sein Team außerdem modernes Musiktheater quasi en passant präsentieren, kann nur noch das Sahnebonbon des Abends sein. Oder sagen wir, eines der beiden Sahnebonbons. Denn was auf der Bühne oben passiert, wenn die Zuschauer sich von ihren Plätzen erheben, um nachhaltig zu applaudieren, muss man wirklich selbst erleben.

Eine der folgenden sechs Aufführungen sollte man sich mindestens als Düsseldorfer jedenfalls nicht entgehen lassen.

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Michael Zerban
O-Ton
 
 
Beeindruckende Geschichtsstunde -- "Heinrich Heines Le Grand
Beeindruckende Geschichtsstunde -- "Heinrich Heines Le Grand" vom Theater der Klänge in Düsseldorf

In seinem 1826 entstanden, 1827 im zweiten Teil der "Reisebilder" erschienenen Werk "Ideen. Das Buch le Grand" versetzt Heinrich Heine sich neben vielfältigen Reflexionen u.a. in seine Kindheit in Düsseldorf zurück und lässt politische Ereignisse Revue passieren. Aus kindlicher Perspektive schildert er die Besetzung Düsseldorfs 1806 durch die Franzosen und den Besuch Napoleons im November 1811. Mit dem in seinem Elternhaus einquartierten Tambour Le Grand freundet Heinrich Heine sich an und da sie die Sprache des jeweils anderen nicht verstehen, findet die Verständigung durchs Trommeln statt.

Copyright: Oliver Eltinger

Anders als das Düsseldorfer Marketing mit Heines vielfach zitierter positiver Bemerkung zu Düsseldorf sind es diese politischen Episoden, die J.U. Lensing vom Theater der Klänge am Buch Le Grand interessierten und ihn zu seinem neuen Stück inspirierten, um die Zeit der Französischen Revolution von 1789 und deren Folgen exemplarisch erfahrbar zu machen und zwar anhand von Le Grand, der dadurch als Zeitzeuge auftritt.

Wie Heine sich die Figur des Tambours ausgedacht hat, so spinnt J.U. Lensing die Biographie weiter, beginnend bei Le Grands Leben auf dem Lande. Abweichend vom Buch behandelt der erste Teil des Stückes den Verlauf der Französischen Revolution, um im zweiten Teil wieder zu Heines Version zu finden. Der kleine Tambour Le Grand wird dabei zum Spielball der Geschichte und stirbt als Rückkehrer aus sibirischer Gefangenschaft im Düsseldorfer Hofgarten in den Armen Heines.

Durch zwei Schauspieler wird eine ganze Epoche mit ihren Revolutionen, Kriegen, Herrschern, einfachen Menschen, Eitelkeiten, Gewalttätigkeiten lebendig. Matthias Weiland tritt dabei als revolutionsbegeisterter Tambour Le Grand auf. Wie einst Heinrich Heine muss der Zuschauer, so er denn des Französischen nicht mächtig ist, die Trommelsprache lernen um Le Grand verstehen zu können. Das Geschehen wird durch Francesco Russo, der Heinrich Heine unaufgeregt verkörpert, mit bissigen, ironischen und treffenden Bemerkungen aus Originalzitaten kommentiert. Musikalisch eindrucksvoll begleitet werden die Szenen von Jean-Jacques Lemêtre und J.U. Lensing.

Die Trommel, die all die Jahre Le Grand treu begleitet hat, durch alle Gefahren hindurch und selbst die jahrelange Gefangenschaft in Russland überdauert hat, wird unmittelbar nach Le Grands Tod durch einen Messerstich Heines zerstört. Einzig der Code civil, der auch zur Gleichstellung der Juden führte, überdauert als wichtigste Errungenschaft die napoleonische Zeit.

Beeindruckend, wie historische Ereignisse und ihre Auswirkungen erfahrbar gemacht werden. Eine sinnliche Geschichtsstunde, ganz ohne pädagogische Attitude. Ein stimmiges Gesamtkonzept, das beim Publikum viel Anklang fand.

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Dagmar Kurtz
Theaterkompass.de
 
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