Teufelskreise
 
Ungewöhnliche Darstellungsformen sind grundlegendes Konzept des Theaters der Klänge aus Düsseldorf. Der Name der freien Gruppe besagt es schon: Hier haben Musik und Geräusche besondere Bedeutung, viele Aufführungen sind auch als Hörspiele erschienen. Was nicht bedeuten soll, dass die Optik vernachlässigt wird, im Gegenteil. Das Theater der Klänge setzt sich immer mit Theatertraditionen und Spielformen auseinander. Das neue Projekt führt dabei tief in die Abgründe der Gegenwartsgesellschaft. "Teufels Kreise" erzählt von Armen und Obdachlosen, den Ausgestoßenen. Die Theatermacher haben viele Interviews mit Betroffenen geführt, insgesamt 14 Stunden Material sind dabei entstanden. Insgesamt 40 Szenen spiegeln die Ängste und Fantasien der Außenseiter.

WDR 3 - Mosaik
 
 
Lobenswerte Idee, aber voller Klischees
Obdachlose, die ihren Einkaufswagen durch die Straßen schieben. Daneben Drogenabhängige, die für die nächste an Haschisch oder Heroin ihren Körper verkaufen. Sozialgeächtete auf der Einkaufsmeile, die von Privat-Sheriffis gestoßen werden, Das alles bringt jetzt das "Theater der Klänge" auf die Juta-Bühne. Geht das überhaupt? Nicht nur auf den ersten Blick klingt das ehrgeizige Projekt von Jörg U. Lensing und "Fifty-Fifty" eher nach sozialpolitischem: Engagement.
Gewiss ist es lobenswert, den Finger in die Wunde unserer auseinanderdriftenden Gesellschaft zu legen, und ein Phänomen bewusst zu machen, an dem Wohlstandsbürger, vollgepackt mit Einkaufstaschen, vorbeilaufen und -gucken, doch mit innovativen Kunstprojekten, mit denen das von Lensing geleitete Ensemble seit 9 Jahren auf sich aufmerksam macht, haben die "Teufels Kreise" nur wenig zu tun.
Der vielseitige Theatermacher verzichtet gänzlich auf sperrige, neuartige Mischformen von Tanz, Theater und Musik, die in der Vergangenheit häufig zum Nachdenken anregten. Stattdessen jagen seine Tänzer vorüber, spielen kurz 40 Szenen an, die jeder der Straße oder von Dokumentationen in Film und Fernsehn kennt. Da mustern Mädchen, mit Handy und schicken Taschen in der Hand, verächtlich einen Obdachlosen, der seinen Wagen durch die Gassen schiebt. Andere verabreden sich mit einem Freier oder werden von einer Freundin, die sich als Dealerin entpuppt, zum Koksschniefen verführt. Je höher die Dosis, desto hektischer werden sie, desto mehr sind sie bereit zu stehlen oder Männern zu sexuellen Diensten zur Verfügung zu stehen. Nichts an: Sozialklischee wird ausgelassen, selbst das Großmütterchen nicht, das von den reizenden Enkelkindern liebevoll in ein Pflegeheim abgeschoben wird.
Ein Mix aus elektronisch aufgeladener Minimalmusik, Softpop und allerlei modischem Klangzauber sorgen zwar für Tempo, doch verbraucht sich der Effekt in mehr als zwei Stunden schnell. Die Miniaturen sind ähnlich aufgebaut, haben anfangs zwar eine kabarettistische Note, dehnen sich aber besonders im zweiten Teil und erzeugen gähnende Langeweile.
Aufhorchen lassen lediglich die eingespielten Original-Interviews mit Betroffenen. Zu Wort kommen da eine im Gefängnis einsitzende Drogenmutter, eine schwarz arbeitende Putzfrau, Stricher und ein Akkordarbeiter der Glashütte.
Doch leider gelingt es nur selten, die schroffe Sprache packenden Lebensberichte auf der Bühne umzusetzen.Die Absicht der soziokulturellen "Teufelskreise" war gut. Doch erreichen sie gerade das Niveau eines Schülerprojekts. Und das sollte vom Sozial- oder Schulamt, nicht vom Kulturamt finanziert werden.

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Michael Georg Müller
Neue Rheinzeitung
 
 
Mit dem Apfel gegen die Angst vor Beschmutzung
Am Ende hört man schreckliche Schreie hinter der Szene, aber die Menschen, die neugierig ihre Türen öffnen, schließen diese wieder fest hinter sich zu. Wir sollten uns der Not in unserer Gesellschaft nicht verschließen, das ist deutlich die Botschaft der neuen Produktion des "Theaters der Klänge". Regisseur Jörg U. Lensing ist Pierre Bourdieu gefolgt, um das Elend unserer Welt zu studieren.
Er hat Drogensüchtige, Prostituierte, Obdachlose, Straffällige und Arbeitslose interviewt und daraus eine Hör-CD gemacht. "Teufels Kreise" heißt auch die Theaterproduktion, in der Interview-Ausschnitte aus dem Off zu hören sind, während das Spiel der Darsteller fast ohne Worte auskommt.
Vor einem Vorhang, der wie alter Putz bemalt ist (Petra Buchholz), spielen sich Szenen der Ausgestoßenen und Verdammten aus dem: ersten bis dritten Kreis der Hölle (frei nach Dante) ab: Ein Penner versucht, sich einen Schlafplatz einzurichten, wird aber stets verscheucht, auch von Leuten, die sich als wohltätig preisen. Zwei Schülerinnen drehen sich einen Joint, sie werden immer wieder auftauchen, bis eine an der Spritze hängt und auf den Babystrich geht.
Aus dem Off erzählt ein junger Junkie, wie er seiner Mutter die Wohnung ausgeräumt hat, alle Möbel und Elektrogeräte verkauft, um mit dem Erlös seine Sucht zu finanzieren. Auf der Szene sieht man schwankende Heroinsüchtige, aber auch ein wohlhabendes Pärchen beim Date mit gepflegtem Koks-Schnupfen. Eine Brasilianerin er zählt, wie sie zur Prostituierten wurde, und dass immer mehr deutsche Hausfrauen sich damit etwas dazu verdienten.
Später wird man eine Hure sehen, die sich nicht vor einem gewalttätigen Freier retten kann. Manche Szenen illustrieren allzu platt das Geschehen, gleiten auch in Sozialkitsch ab: Wenn die Oma im Altersheim eine imaginäre Mitbewohnerin füttern will, wenn der Penner ein ausgesetztes Baby entdeckt und sich seiner liebevoll annimmt, was aber die herzlosen Polizisten verhindern.
Manches erinnert an Stummfilmszenen, zumal auch der durchgehende Musikteppich (Kompositionen: Thomas Neuhaus) oft die dramatische Wucht von Filmmusik hat. Andere Episoden werden als Tanzszenen erzählt, wobei in den Choreographien von Jacqueline Fischer die Gewalt eine wichtige Rolle spielt: unter Schülern, zwischen Mann und Frau, gegen Außenseiter. Besonders berührend sind jene Momente, in denen das Spiel fast unmerklich in Tanz übergeht: wenn die Verzweifelte mit sich und den Pillen kämpft, oder der Zwangsneurotiker mit einem Apfel und seiner Angst vor Beschmutzung. Der Titel "Teufels Kreise" ließ erwarten, dass dieser Theaterabend auch analytisch nach Ursachen und Wirkungen forscht. Das ist indes kaum möglich, wenn der gesamte Bereich der so genannten Randgruppen ausgeschritten wird, von den Alten über die Kranken bis hin zu den Obdachlosen und den gewalttätigen Kriminellen. Schade für den Abend, dem eine eigene Sichtweise auf die bröckelnden Ränder unserer Gesellschaft gut getan hätte.

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Eva Pfister
Westdeutsche Zeitung
 
 
Vom Elend erdrückt
Sie sehen ihn nicht, den alten Mann in Lumpen, Ohrenklappenmütze auf dem Kopf, Pappkartonwägelchen mit Schlafsack im Gepäck. Sie laufen einfach an ihm vorbei, sprechen in ihr Handy, haben keinen Blick für die Welt. Selbst als der Alte dem Anzugträger, der Geschäftsfrau, dem Mädchen die schmutzige Hand entgegenstreckt, ignorieren sie ihn. Traurige Straßenszene. Seltsam nur, welche Musik dazu zu hören ist: behäbige Orchesterklänge mit Glockenspiel-Puderzucker versüßt. Dick aufgetragene Heileweltmusik taucht das Spiel in die falsche Atmosphäre, irritierend, als säße man im falschen Film.
Mit dieser Ouvertüre beginnt das Düsseldorfer Ensemble "Theater der Klänge" seine neue Produktion "teufels kreise" im Juta, eine knapp zweistündige Episodenfolge, die nur ein Thema hat: soziales Elend in all seinen erschreckenden Spielarten. Drogenabhängige, Obdachlose, Einsame, psychisch und physisch Lädierte treten auf. Für wenige Minuten macht der Zuschauer ihre Bekanntschaft, wird ohne Umwege in ihre Geschichten geführt, erlebt mit, woran die Menschen leiden. Zwischen diesen Episoden werden aus dem Off Interviewpassagen eingeblendet. Menschen erzählen von ihren Problemen, ein Junkie berichtet, ein Arbeitsloser, einer aus dem Knast. Und eigentlich handeln all’ diese Geschichten von demselben Stoff - der Einsamkeit und ihrer zerstörerischen Kraft.
Gespielt wird das alles sehr genau, sehr pointiert, ohne ins pantomimisch Übertriebene abzugleiten. Körperhaltung, Gesten, Mimik müssen das meiste erzählen, gesprochen wird wenig, dafür ist alles eingebettet in Musik. Nicht immer in die fetten Streicherklänge vom Anfang, mal sorgt ein Akkordeon für Frankreichcharme, dann wieder erklingen Repetitionen elektronischer Sounds, die wie ein Puls pochen und sich in unerträgliche Crescendi steigern können, wenn Gewalt die Szene beherrscht.
Auch in ihrer aktuellen Produktion zeigt das "Theater der Klänge" also eine Kombination aus eigens entwickelten Klangkompositionen (Thomas Neuhaus) und Ausdruckskunst, mal Schauspielerei, mal Tanz, wie es die Szene erlaubt (Regie: Jörg Lensing). Diesmal ist das Thema der Produktion allerdings so plakativ, dass dem Ensemble kaum Spielraum bleibt, um zu einer eigenen ästhetischen Sprache zu finden. Absolut vorhersehbar sind die meisten Episoden: Die Türkin, die sich heimlich im Park verabredet, wird vom wütenden Vater verjagt; von drei Drogenabhängien, die sich eine Spritze teilen setzt sich eine den goldenen Schuss. Und so fort. Klischees, mit frappierendem Realismus nachgespielt, aber eben nur Klischees.
Das Ensemble will zum Hin schauen zwingen, den Unterdrückten eine Bühne bieten, damit ihr Elend sichtbar wird. Das gelingt. Doch der darstellerische Realismus weist nicht über sich hinaus, lenkt das Denken in keine Richtung, belässt es bei Elendsbeschau — ein dringlich, beklemmend, aber in seiner moralischen Absicht so schwer dass die Kunst darunter erstickt.

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Dorothee Krings
Rheinische Post
 
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